Film des Monats November 2016 •
Stille, menschenleere Räume, lange Kamerafahrten, die neue Perspektiven enthüllen, und immer wieder Buchstaben und Worte, die sich als architektonische Bild-Räume erweisen – Susanne Wiegners 3D-Animationen tragen eine unverwechselbare Handschrift. In »the light – the shade« (2014) adaptiert die Künstlerin ein Gedicht des US-amerikanischen Kultautors Robert Lax.
Susanne Wiegner, geboren und aufgewachsen in Kempten (Allgäu), studierte Architektur an der Akademie der Bildenden Künste in München und am Pratt Institute in New York City. Seit 2002 schafft die in München lebende Künstlerin 3D-Animationen, in denen der Körper der Schrift selbst zum visuellen Bedeutungsträger wird: als Fläche, Gegenstand, Landschaft, Stadtarchitektur oder einfach als Schriftzeichen. Der Raum, das Licht und seine Dimensionen sind dabei zentrale Akteure.
Wiegners bisherige Poesiefilme beruhen auf deutschsprachigen Gedichten von Georg Trakl oder Gegenwartslyrikern wie Ulrike Almut Sandig und Björn Kuhligk, dessen Gedicht Die Liebe in den Zeiten der EU sie 2014 für das ZEBRA-Festival eindrucksvoll inszenierte. the light – the shade arbeitet mit dem gleichnamigen Gedicht und dem Voice-over des US-amerikanischen Autors Robert Lax (1915–2000). Seine Texte hatte die Künstlerin bereits zuvor in einer Reihe von Poesiefilmen zum Ausgangspunkt gewählt (z. B. just midnight, 2010; something I remember, 2012).
Robert Lax entstammte einer jüdischen Einwandererfamilie aus Österreich, konvertierte jedoch 1943 zum Katholizismus. Nach dem Studium an der Columbia Universität in New York führte er ein unstetes Leben, arbeitete als Englischlehrer, schrieb Filmkritiken, versuchte sich als Drehbuchautor und tourte mit einem Zirkus durch Kanada. In den 1950er Jahren verbrachte er einige Zeit in Frankreich und Italien, in den 1960ern lebte er vor allem auf der griechischen Insel Patmos. Sein ›minimalistischer‹ Lebensentwurf, der von einem religiös-asketischen Freiheitsideal getragen wird, fasziniert noch heute. Auch seine Lyrik ist vom spirituellen Versuch einer maximalen gedanklichen und formalen Reduktion geprägt. Sie gibt sich nicht zuletzt im vertikalen Schriftbild seiner Texte zu erkennen. Durch das Lesen von oben nach unten verlangsamt sich der Lesefluss, und es entsteht eine neue Aufmerksamkeit, die sich auch auf die Filme überträgt.
the light – the shade beginnt bewusst einfach, eröffnet jedoch alsbald eine vielschichtige, facettenreiche Dramaturgie. Das Voice-over rezitiert »bright white«, »dark black«. Wie eine Titeleinblendung tauchen die Worte, jeweils in hell-weiß auf weißem und tiefschwarz auf schwarzem Hintergrund, auf. Daraufhin führt uns eine Kamerafahrt durch die Buchstaben hindurch, hinein in den dunklen Bildraum, von der zweiten in die dritte Dimension. Der Ausschnitt eines Stadtraumes entsteht, der nach und nach vom Licht matt erleuchteter Fenster, Laternen und vorbeifahrender Straßenbahnen erhellt wird. Bis die Kamera vor einem dieser Fenster stoppt.
Die Bewegungen der Straßenbahnen erzeugen Schattenspiele im Innenraum. Auf einem Tisch stehen Schreibutensilien und ein Laptop. Mit den Worten »beyond white – within white« fährt die Kamera nun in einer Mise en abyme in den Monitor hinein. Der weiße Bildraum (»light at the highest point of whiteness«) in seinem Inneren erweist sich nach und nach als weiterer Schriftraum. Erneut werden die Worte als dreidimensionale Buchstaben, zuletzt der ganze Text des Gedichts sichtbar. Die jeweilige Bewegungsrichtung, welche die Kamera dabei aufnimmt, bezieht sich auf die Adverbien des Gedichts: »above«, »below«, »beyond«, »within«.
Der Betrachter folgt der Kamera nun weiter durch einen zunächst schwarzen, dann farbigen Bildraum, der sich von der Schrift löst, ungegenständlich wird und sich zu einer Landschaft formiert, um schließlich als flaches Bild zu enden, eingebunden ins Layout einer Buchdoppelseite, auf der ein Teil des Gedichts geschrieben steht. Wir befinden uns lesend im Innern der Straßenbahn, die uns schließlich zurück in den bereits bekannten Stadtraum führt. Auch dieser erweist sich als Schriftraum und endet als zweidimensionale Textseite auf dem Tisch neben dem Laptop, auf dem offenbar gerade der Film entsteht.
Mit ihren präzisen und zugleich paradoxen Kamerafahrten, die immer aufs Neue unerwartete Perspektiven eröffnen, versteht es Susanne Wiegner, den Betrachter in eine komplexe, doch gleichzeitig minimalistische Welt hineinzuziehen, die sich zwischen den Polen Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Außen und Innen, Stadt und Land, ungegenständlichem und gegenständlichem Bildraum aufbaut. Die überraschenden Wendungen und Querverweise vom Bild zum Text bleiben dabei auf das Gedicht bezogen und machen es auf visueller Ebene in mehrfacher Weise erfahrbar. Die Filme Wiegners blenden die religiöse Sprachdimension von Robert Lax’ Poesie weitgehend aus, dafür überführen sie ihre Paradoxien geschickt in eine virtuelle Welt.
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