Zum nunmehr zweiten Mal fand das ZEBRA Poetry Filmfestival in Münster statt. Es ist das größte seiner Art – und ereignet sich doch in einer kulturellen Nische. Genau das macht Hoffnung auf mehr.
»Hallo. Hallo, hören Sie mich?« Silhouetten in Turbulenz … oder besser gesagt in Unruhe. Gerade hört man nämlich nur das Rauschen der Lautsprecher und sieht auf der Leinwand im größten Kinosaal des Schloßtheaters Münster ein Bild, das nicht zu der gerade getätigten Ansage des Moderators passt. Irgendjemand dreht das Rauschen leiser und die Schatten im Saal drehen sich verunsichert um die eigenen Achsen: Auftakt ZEBRA Poetry Filmfestival 2018 Münster|Berlin.
Das ist also das, was schief gehen kann, wenn eigentlich gar nichts schief gehen kann. Gut, dass der Filmtechniker des Schloßtheaters erstens die Ruhe selbst und zweitens sehr kompetent und schnell im Lösen von Problemen dieser Art ist. Wenige Minuten später lehnen alle Gäste des weltweit größten Festivals für Poetryfilme wieder entspannt in ihren Sesseln und über die Leinwand ziehen vier Kurzfilme, die die Vielfalt des Filmfestivals in wenigen Minuten zum Ausdruck bringen.
Zwei Traditionen, fünf Sieger
Aus der während des ZEBRAs gezeigten filmischen Erzähl- und Präsentationsformen lassen sich in diesem Jahr zwei größere Traditionslinien innerhalb des Programms ausmachen: auf der einen Seite stehen Filme, die ein Gedicht primär illustrieren und auf der anderen jene, die diese Doppelungen durch das Bild vermeiden wollen. Dieser ästhetischen Grundsatzentscheidung ist erst einmal wertneutral zu begegnen. Denn die präsentierten Filme zeigen: beide Wege können sich als lohnenswert erweisen.
Nach drei Tagen intensiver Beratung und Diskussionen der beiden Jurys, zeigte sich allerdings, dass sich bei den Siegerfilmen in diesem Jahr die Tendenz zur illustrativen Verfilmung von Gedichten durchgesetzt hat. Besonders wichtig war der Jury für den Internationalen und Deutschsprachigen Wettbewerb dabei die Hervorhebung der Gedichte, auf welchen die einzelnen Filme basieren.
Da wäre zum Beispiel der Film Hate for Sale der niederländischen Animateurin und Regisseurin Anna Eijsboots, der von der internationalen Jury mit dem Preis für Toleranz ausgezeichnet wurde. Im dem Gedicht von Neil Gaiman, das dem Film Eijsboots zugrunde liegt, ist das lyrische Ich ein professioneller Salesman, der uns, die Hörer*innen und Leser*innen, dazu verführt, sich der Einfachheit des Hasses hinzugeben. Diese Simplizität der Botschaft, die jeder Hassrede im Netz zugrunde liegt (»hate is clean, hate will make you sure«), macht die Poesie von Eijsboots Film aus und wird durch die diabolische Schattenfigur ihres Films verkörpert. Es ist hier der Weg der Reduktion beschritten worden, weil das Gedicht selbst eine klare Botschaft hat, deren leichte Ironie nicht lange entschlüsselt werden muss.
Der ZEBRA-Preis für den besten Poesie-Film wurde Tom Speers für seinen Kurz-Spielfilm Boy Saint verliehen, der auf dem gleichnamigen Gedicht von Peter LaBerge beruht und die Coming-of-Age-Geschichte zweier Jungen erzählt, die sich zwischen Freundschaft und Liebe der Frage nach der eigenen Sexualität ausgesetzt sehen und fühlen.
Der Goethe-Filmpreis ging an den südafrikanischen Animationsfilm Stad in die mis von den Regisseuren Jac und Wessel Hamman, basierend auf dem Gedicht City in the mist von D. J. Opperman, in welchem sich die Stadt für seine Betrachter*innen in ein gefährliches Tier verwandelt.
Den Rittersport-Preis für den besten Film aus dem Deutschsprachigen Wettbewerb erhielt Hanna Slak für die Verfilmung des Gedichts silhouetten in turbulenz von Daniela Seel. Der entstandene Kurzfilm heißt Standard Time, ein Spiel mit Farben, Formen, Wörtern und Ebenen. Visuell sowie theoretisch.
Der einzige Publikumspreis des diesjährigen Festivals im Kinderfilm-Wettbewerb ZEBRINO konnte sich die US-amerikanische Regisseurin Dawn Westlake mit ihrem Film Scrappy sichern, welcher auf einer wahren Geschichte beruht, in der ein Kind seinen Hund vor dem Tod rettet, indem es sich schützend über den Hund legt, als dieser durch den Nachbarn erschossen werden soll. Der Film erzählt die Geschichte von Westlakes Vater Donald G. Westlake und dessen Hund, der dieses Erlebnis aus seiner Kindheit im von ihm verfassten Gedicht Scrappy festgehalten hat. Die Regisseurin, die am Abend der Preisverleihung in Münster war, freute sich zu Tränen gerührt über den ZEBRINO-Preis.
Im NRW-Wettbewerb gewann der Film (No) We, I, Myself and Them? von Christin Bolewski, welcher auf dem Gedicht Massacre von Liao Yiwu beruht. Die Auseinandersetzung mit dem stark politisierten Topos des Tian’anmen-Platzes in Peking wird auf kunstvolle Art mit Blicken in die Gegenwart und Geschichte dieses Erinnerungsortes vermittelt.
Das ZEBRA und die doppelte Herausforderung des Poetryfilms
Der Umzug des ZEBRA Poetry Filmfestivals von Berlin in die westfälische Universitätsstadt vor zwei Jahren war sicherlich aus der finanziellen Not geboren. Die Förderbedingungen in der Hauptstadt hatten sich geändert. Die jüngste Geschichte des ZEBRA-Festivals gibt viel preis über den Film- und Kulturstandort Deutschland, insbesondere über die finanziellen Strukturen und Abhängigkeiten innerhalb kultureller Nischen. Dieses Nischendasein des ZEBRAs hat aber auch inhaltliche Gründe, was durchaus positiv zu bewerten ist. So öffnete es in diesem Jahr mit seinen knapp 120 gezeigten Filmen den Zuschauer*innen die Augen für die gesamte Bandbreite des Poetryfilm-Genres – verdeutlichte ihnen damit, wie facettenreich und im Werden begriffen dieses Subgenre immer noch ist.
Die Poesie eines filmischen oder sprachlichen Textes ergibt sich aus seiner Fähigkeit, die Äquivalenzen und Oppositionen zwischen seinen Bedeutungs- und Vermittlungsebenen sichtbar zu machen; so kann ein Gedicht idealerweise die Leerstellen in unserem konventionellen Sprachgebrauch mit neuen Sinnangeboten füllen.
Der Poetryfilm stellt sich dieser Herausforderung nun in doppelter Weise, da er nicht nur die Lücken zwischen den Wörtern, sondern auch den Raum zwischen den Medien mit Bedeutung füllen will. Das kann anregen, bisweilen aber auch anstrengen. Entscheidend dabei ist, dass nur so ein wichtiger Raum für visuelle und narrative Experimente geöffnet wird, der vor allem im deutschen Kino mit seinem Hang zum konventionell erzählten Historiendrama selten ist.
Das Rahmenprogramm
Auch wenn am Ende des Festivals lediglich fünf Filme mit einem Preis ausgezeichnet wurden, ist festzuhalten, dass das Programm reichlich gefüllt war mit bemerkenswerten und sehr interessanten Gedichtverfilmungen sowie Poetry-Clips. Darunter unter anderem auch Filme von Nachwuchs-Regisseur*innen wie den Studierenden der Kunsthochschule für Medien Köln und der Hochschule Düsseldorf sowie den Teilnehmer*innen der Hip-Hop-Poetryclip-Workshops unter der Leitung von Rapper, Regisseur und Kameramann Felix van Beuse, in deren Rahmen die 9-14-jährigen Teilnehmer*innen Musikvideos zu eigenen Songs sowie Dokumentarclips entwickelten.
Eine weitere Besonderheit im Programmpunkt »Fokus USA« bildete die Live-Lesung des Lyrikers Spoon Jackson aus dem Solano State Prison in Vacaville. Jackson ist seit über vierzig Jahren nach einer umstrittenen Verurteilung zur lebenslänglichen Gefängnisstrafe ohne Bewährung inhaftiert und schreibt seit 1985 Gedichte, die auch außerhalb der Gefängnismauern Menschen erreichen und bewegen. Eine Annäherung an den Geburtsort des Lyrikers sowie dessen Poesie gelingt dem Filmemacher Rainer Komers mit seinem Filmprojekt The Spoon Film und der Vorstellung von Jacksons Gedichtband Felsentauben erwachen auf Zellenblock 8.
Was nach vier Tagen ZEBRA-Festival (zu tun) bleibt
Was ist also die Bilanz nach vier Tagen ZEBRA Poetry Film Festival? Vor zwei Jahren hat Annelyse Gelman an dieser Stelle danach gefragt, wie wir uns als »Community« von Poetry-Filmemacher*innen und -begeisterten den gegenseitigen und nötigen Platz zum Existieren schaffen können. Für Gelman hatte das ZEBRA vor zwei Jahren dafür einige Lösungen gefunden, die vor allem in der so schlichten wie wichtigen Tatsache begründet lagen, Interessierten den Zugang zu den Filmen zu ermöglichen, einen Ort der Kommunikation zwischen Produzent*innen und Interessent*innen zu schaffen.
Damit ist aber nur ein erster Schritt getan. Will man eine neue Generation für das Genre Poetryfilm oder Poesie im Allgemeinen begeistern, stellen Veranstaltungen wie die »New Filmgeneration«, in deren Rahmen die eben erwähnten Hip-Hop-Poetryclips entstanden, oder Live-Lesungen sinnvolle Erweiterungen des regulären Festivalprogramms dar. Auch das Potenzial der Sozialen Netzwerke liegt für Poesiefilme, deren Verwertungsfragen keine Millionensummen betreffen, nach wie vor brach; hier ist mehr Mut von allen Beteiligten einzufordern. Plattformen wie Instagram intensiver mit Poetryfilmen zu bespielen, könnte dem Genre einen Schub versetzen, ohne damit künstlerische Visionen zu kompromittieren.
Das ZEBRA fand vorerst zum letzten Mal in Münster statt, ab 2019 wird es wieder hauptsächlich in Berlin angesiedelt sein. Ob in der dichten Filmfestivallandschaft der Hauptstadt auch genügend Platz für das exotische Wesen des ZEBRAs zu finden ist, seine Nische weiterhin mit dieser Vielfältigkeit belebt sein wird, bleibt abzuwarten – zu wünschen wäre es diesem Festival allemal.
Zarah Rietschel, Patrick Zemke
Über die Autoren |
Zarah Rietschel wurde 1992 in Kassel geboren und hat schon früh ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckt. Nachdem sie ihren Bachelor of Arts in Soziologie und Germanistik abgeschlossen hat, studiert sie inzwischen den Master-Studiengang »Kulturpoetik der Literatur und Medien« und schreibt in ihrer Freizeit für das Online-Musikmagazin reissnadel.com. Am diesjährigen ZEBRA Poetry Film Festival MünsterIBerlin war sie als Praktikantin bei der Vorbereitung und Durchführung beteiligt. |
Patrick Zemke, geboren 1989 in Dortmund, studiert im Master Kulturpoetik der Literatur und Medien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Während seines Studiums hat er diverse Praktika in den Medien absolviert. Das letzte führt ihn zum ZEBRA Poetry Filmfestival Münster/Berlin führte, wo er an der Organisation und Durchführung des Festivals beteiligt war. |