Beobachtungen zum 2. Weimarer Poetryfilmpreis 2017
Der zweite Weimarer Poetryfilmpreis, ausgerichtet von der Literarischen Gesellschaft Thüringen e. V. in Kooperation mit dem backup_festival der Bauhaus-Universität Weimar, ging dieses Jahr in die zweite Runde. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Dave Bonta, Betreiber der Poetryfilmplattform movingpoems.com und einer der diesjährigen Juroren, klärt bei der Podiumsdiskussion über die strukturellen Probleme der Poetryfilmszene auf: Auf der einen Seite sei es schwierig, die über den Erdball verteilte Szene lokal zu vernetzen. Andererseits hapert es vielerorts an den finanziellen Rahmenbedingungen. So haben es beispielsweise in den USA Festivals oder Preise, die sich gezielt an den Poetryfilm richten, besonders schwer, sich zu etablieren, da eine Finanzierung von staatlicher Seite entfällt.
Ebele Okoye, ebenfalls Jurymitglied, ergänzt, dass solche Veranstaltungen auch in Deutschland schnell wieder von der Bildfläche verschwinden oder als Anhängsel eines größeren Kurzfilmfestivals auftreten. Im Rahmen von Kurzfilmfestivals jedoch stellen sich Fragen bezüglich der Abgrenzung und des eigenen Selbstverständnisses des Poesiefilms. Gleichzeitig sind solche Veranstaltungen wichtig, um die global agierende Szene zusammenzubringen und den Poetryfilm einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Insofern kann man den diesjährigen Weimarer Poetryfilmpreis als gelungen bezeichnen. Das erste Screening fand bei lauschiger Atmosphäre im Gaswerk statt und zeichnete sich sowohl durch seinen familiären als auch internationalen Charme aus. Filmemacher, Autoren, Organisatoren und Gäste nutzten die Gelegenheit zum regen Austausch.
Die größte Auffälligkeit beim Schauen: Kein Film glich den anderen, jeder von ihnen pulsierte von einer anderen Richtung her. Es gab aufwendige Animationen wie zum Beispiel City In The Mist (Stad In Die Mis, Jac & Wessel Hamman, Südafrika 2016). Oder den experimentelleren Film Long Rong Song (Ottar Ormstad, Norwegen 2015), in dem lose Silbenfolgen typografisch in einer Matrix angeordnet und mit elektronischen Klängen untermalt werden. Dann wiederum gab es Filme klassischerer Machart, die von der fesselnden Vortragsweise der Schauspieler leben (Chamada Geral von Manuel Vilarinho, Portugal 2015; Heartbreak von Dave Tynan, Irland 2017; Here We Go Here We Go Here We Go von Roxana Vilk, Großbritannien 2014). Hail the Bodhisattva of Collected Junk von Ye Mimi (Taiwan 2016) dagegen trägt deutliche Züge eines Musikvideos. Mit ihrem Beitrag Contemplation Is Watching (Deutschland 2016) wagt Susanne Wiegner hingegen den Versuch, gänzlich auf eine vortragende Stimme aus dem Off zu verzichten.
Man merkt schnell: Der Poetryfilm ist in Bewegung, wirkt so frisch und ideenreich, als gäbe es ihn erst seit Kurzem. Jeder Beitrag kann zugleich als ein Statement zu der Frage verstanden werden, was der Poetryfilm sein kann – ein Vorstoß in ein unbekanntes Gebiet möglicher Entwicklungen. In diesem Sinne wurde auch die Auszeichnung des deutschen Films Standard Time von Hanna Slak und Lena Reinhold von den Juroren begründet: »Addressing the poetic possibilities of time as it does, it can be seen as a film about poetry film itself.«
Eine besondere Erwähnung von der Jury, zu der neben Dave Bonta und Ebele Okoye auch der Weimarer Schriftsteller Stefan Petermann gehörte, erhielt der Film Heartbreak von Dave Tynan. In diesem Film geht es um eine Frau, die in jungen Jahren ungewollt schwanger wird und sich unter dem Dauerbeschuss gesellschaftlicher Anfeindungen und Ausgrenzung durchs Leben zu schlagen versucht. Der virtuose Vortrag des irischen Spoken-Word-Poeten Emmet Kirwan fesselt den Zuschauer von der ersten Sekunde an und steigert sich zu einer überwältigenden Intensität. »Ein feministischer Poetryfilm für Frauen und Männer, mutig, wütend, herzzerreißend, ein Ausrufezeichen, ein Film, den die Welt sehen muss,« wie die Jury betonte.
Den Publikumspreis erhielt der Film The Last Time von Christine Hooper (Großbritannien 2016). Der Film behandelt die Schwierigkeiten, einer alten Liebe zu entkommen – nämlich der zum Rauchen. Interessant ist hierbei, dass der Text die Doppeldeutigkeit (die Zigarette als Liebhaber) nicht explizit auflöst. Die Bilder hingegen erhalten diese Doppeldeutigkeit nur am Anfang aufrecht, danach wird ziemlich deutlich, was mit »struggle to stub out love’s flame« gemeint ist. Text und Bild durchdringen sich hier, bewahren aber gleichzeitig ihre Eigenständigkeit.
Formale Standards oder eine konkrete Antwort auf die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis innerhalb der Poetryfilmszene sind also längst noch nicht ausgehandelt. Nicht nur deshalb bleibt die Beobachtung dieses Phänomens eine spannende Angelegenheit.
Über den Autor |
Joshua Schößler, Jg. 1992, studierte Philosophie und germanistische Literaturwissenschaft in Jena. 2017 gewann er den ersten Preis des Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen und den diesjährigen hr2-Literaturpreis. |