Thomas Zandegiacomo Del Bel über den Neustart des ZEBRA Poetry Film Festivals in NRW
Poetryfilmkanal: Warum zieht das ZEBRA von Berlin nach Münster? Und wann habt ihr angefangen, über den Umzug nachzudenken?
Thomas Zandegiacomo Del Bel: Angestoßen von der Kunststiftung NRW hat der Umzug das Genre über die Grenzen der Hauptstadt hinaus getragen und in Nordrhein-Westfalen verankert. Die Wahl fiel sehr schnell auf die Stadt Münster. Mit dem Internationalen Lyrikertreffen Münster und dem Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie, die von der Stadt Münster und dem Literaturverein veranstaltet und vergeben werden, verfügt Münster bereits über eine große Expertise und ein interessiertes Publikum. Das Filmfestival Münster wird seit Jahren erfolgreich durch ein erfahrenes Team geleitet und von der Filmwerkstatt Münster veranstaltet. Der neue Standort gilt mit diesen beiden Festivals bereits als ein wichtiger Ort für Lyrik ebenso wie für Filmkunst. Das waren zwei starke Argumente für den neuen Festivalort. Möglich wird das ZEBRA Poetry Film Festival Münster|Berlin durch die Förderung der Kunststiftung NRW, der LWL Kulturstiftung, des Landes NRW und der Stadt Münster sowie der Botschaft des Königreichs der Niederlande und der Flämischen Repräsentanz.
Über einen Umzug von Berlin nach Münster dachten wir bereits gleich nach dem 7. ZEBRA Poetry Film Festival 2014 nach.
Wie kam der Kontakt zur Filmwerkstatt zustande?
Der Kontakt zur Filmwerkstatt Münster kam 2009 zustande. Damals bat mich ihr Geschäftsführer, Winfried Bettmer, drei Programme für das Internationale Lyrikertreffen zusammenzustellen und in Münster zu präsentieren. Durch den Erfolg der Programme folgten in den Jahren 2011, 2013 und 2015 weitere Filmpräsentationen.
Was unterscheidet das ZEBRA in Berlin vom ZEBRA in Münster? Schlägt sich der Neustart auch im Profil und Programm des Festivals nieder?
Der Neustart schlägt sich durchaus im Programm und Vorprogramm nieder. Im Vorfeld des Festivals wird unter dem Banner »Halbtotale 2016« eine Filmreihe mit Buchverfilmungen und Autorenportraits aus Flandern und den Niederlanden den Festivalherbst einleiten. Den Auftakt machte am 29. August die Deutschlandpremiere von J. Kessels, einem wahnwitzigen Roadmovie aus der niederländischen Provinz bis zur Reeperbahn und zurück. Am 15. September war Cees Nooteboom, einer der bedeutendsten niederländischen Autoren, mit einer Lesung in Münster zu Gast. In Kooperation mit dem RESET Festival bekommt am 19. Oktober der belgische Punk-Film Ex Drummer seinen passenden Aufführungsort im Café der Sputnikhalle am Hawerkamp. Und ein flämisch-niederländisches Programm mit Songs, Grooves und Gedichten unserer westlichen Nachbarn bildet am 12. Oktober den Beginn eines Mixed-Media-Abends im Theater im Pumpenhaus. Am 22. Oktober werden die niederländische Musikerin Renee van Bavel und der Berliner Autor und Poetry Slammer Volker Strübing in ihrem Programm »Don’t mention the war!« in Liedern, Geschichten und Bildern von den vielfältigen bilateralen Beziehungen, von niederländischen Krokettenautomaten und Deutschen mit Fahrradhelmen und Funktionskleidung erzählen.
Das ZEBRA Poetry Film Festival Münster|Berlin veranstaltet einen eigenen NRW Wettbewerb. Im erstmals stattfindenden NRW Wettbewerb sind 18 Filme vertreten, die entweder in NRW gedreht wurden oder von Filmemachern aus Nordrhein-Westfalen stammen. Die Festivalleitung hat sich dazu entschlossen, den Wettbewerb auch national und international zu vergrößern. Somit wurden 80 Poesiefilme von der Programmkommission für den internationalen und den deutschsprachigen Wettbewerb nominiert.
Der Schwerpunkt des diesjährigen ZEBRA Poetry Film Festival Münster|Berlin liegt auf den Niederlanden und Flandern. Damit gehört das Festival zum offiziellen Rahmenprogramm der Frankfurter Buchmesse, auf der Flandern und die Niederlande Ehrengast sind. Mit ausgewählten Poesiefilmen aus den diesjährigen Einsendungen, preisgekrönten Klassikern und den Ergebnissen der Masterclass »Poetry across the borders« präsentiert ZEBRA die Vielfalt dieses Sprachraums zwischen Dünen und Poldern.
Die gemeinsame Masterclass »Poetry across the borders« von der Filmwerkstatt Münster und der Filmwerkstatt DZIGA in Nijmegen (NL) ermöglichte jeweils zwei Teilnehmern aus beiden Ländern die Produktion eines Poesiefilms. Die Gruppe traf sich regelmäßig zu Arbeitstreffen unter der Leitung der Filmemacher Rainer Komers und Bea de Visser. Im Mittelpunkt aller Filme stehen die Gedichte der niederländischen Dichterin Frouke Arns, die ihre Texte beim ersten Treffen in Nijmegen persönlich vorgestellt hatte. Die FilmemacherInnen und RegisseurInnen Victorine van Alphen, Ruut van der Beele, Christian Fries und Sina Seiler haben im Juli und August je eines der vorgestellten Gedichte in ihrer Handschrift visualisiert.
Der Schwerpunkt wird mit Lyriklesungen, z. B. Mustafa Stitou, und Filmgesprächen mit Judith Dekker, Marc Neys u. a. ergänzt. Das diesjährige Festival lud zudem dazu ein, das Gedicht »Orakel van een gevonden schoen« des niederländischen Lyrikers Mustafa Stitou zu verfilmen. Die Regisseurinnen und Regisseure der besten Verfilmungen sind nach Münster eingeladen, um ihre Filme vorzustellen und zu diskutieren.
Mit all diesen Programmpunkten präsentieren wir sowohl einen umfangreichen Länderschwerpunkt als auch die Nähe Münsters zu seinen beiden Nachbarn.
Was macht Münster für den Poetryfilm attraktiv?
Der Poesiefilm stößt hier auf größere Aufmerksamkeit, da er sich auf vollkommen neuem Terrain befindet. Das bringt auch frische Ideen, wie zum Beispiel die bereits erwähnte Masterclass »Poetryfilm across the borders«, den Schreibworkshop für Jugendliche oder die Lehrerfortbildung »Poesiefilm im Unterricht«. In dem zweitägigen Schreibworkshop für Jugendliche erklärte die Schriftstellerin Marion Gay, wie man anhand von Bildern, Texten und Schreibspielen mit Wörtern spielen und mit verschiedenen Gedichtformen experimentieren kann. In der Lehrerfortbildung wurde gezeigt, wie sich Poesiefilme in den Unterricht integrieren lassen. All diese Kurse wurden für Münster in einer neuen Form konzipiert, und die Ergebnisse sind natürlich auf dem Festival zu sehen.
Kannst Du die Film- und Literaturszene in NRW beschreiben? Was unterscheidet diese von Berlin?
Durch die sehr unterschiedlichen Filmproduktionsstätten in NRW, herrscht auch eine große Diversität in der Art ihrer Poesiefilme. Die Kunsthochschule für Medien in Köln produziert eher experimentelle Poesiefilme während die Fachhochschule Dortmund des Öfteren Gedichte in Spielfilme überträgt. Ebenfalls experimentell waren auch die Beiträge der Universität Düsseldorf. Schöne Animationen haben wir aus Münster erhalten. Deutlich schlägt sich auch die Spoken Word Szene in den eingesendeten Poetryclips nieder. Bemerkbar macht sich in den Arbeiten die Tradition der Videokunst aus Städten wie Köln oder Düsseldorf. Natürlich hat das Land Nordrhein-Westfalen mit den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen eine der größten Erfahrungen auf dem Gebiet des Kurzfilms.
Mit ihrem Engagement für Poesiefilme ermöglichte es die Kunststiftung NRW im Jahr 2014 Filmemacherinnen und Filmemachern aus Nordrhein-Westfalen, Gedichte zu verfilmen. Zu ihrem 25jährigen Gründungsjubiläum hat die Kunststiftung NRW die Kunsthochschule für Medien Köln eingeladen, sich mit Texten junger Lyrikerinnen und Lyriker aus NRW in freier künstlerischer Bearbeitung filmisch zu beschäftigen. In der Seminar-Reihe »poetry/film«, geleitet von Andreas Altenhoff, Thomas Bauermeister, Sonja Hofmann und Sophie Maintigneux, entstanden elf filmische Versionen ausgewählter Gedichte, die auf dem 7. ZEBRA Poetry Film Festival in Berlin präsentiert wurden. Einige dieser Filme werden bis heute auf verschiedenen Festivals und Reihen gezeigt.
Neben wenigen großen belletristischen Verlagen sind es vor allem kleine, unabhängige Verlage, die die lebendige Literaturszene in Nordrhein-Westfalen mitgestalten. Dazu kommt der WDR, der einer der wichtigsten Auftraggeber für Drehbücher und Hörspiele ist. Wichtige Mittler und Kanäle der Literaturförderung sind die vier regional verankerten Literaturbüros in Detmold, Düsseldorf, Gladbeck und Unna. Die Landesregierung unterstützt sie mit einer institutionellen Förderung.
Die Berliner Film- und Lyrikszene ist etwas internationaler aufgestellt. Viele internationale Lyriker lassen sich in Berlin nieder. Die Filmproduktionen in Berlin reichen von studentischen Kurzfilmen bis zu Blockbustern, die von internationalen Regisseuren und Regisseurinnen in den Babelsberger Studios gedreht werden.
Wie siehst Du das sonstige Umfeld in Münster?
Mit 55.000 Studierenden gehört Münster zu den zehn größten Universitätsstädten Deutschlands. Das macht sich auch im kulturellen Angebot und bei den Besuchern bemerkbar. Es ist eine »junge« Stadt mit vielen Konzerten und Veranstaltungen. Neben dem Filmfestival Münster, das ebenfalls von der Filmwerkstatt Münster veranstaltet wird, gibt es weitere Filmfestivals und -reihen. Daneben findet ein Reihe von Lesungen und Spoken Word-Veranstaltungen statt. Die Stadt ist mit Sicherheit ein guter Standort für das ZEBRA. In Berlin mit seinen jährlich 50 Filmfestivals hat es jedes Festival schwer, sich gegen die Berlinale zu behaupten.
Die Festivalleitung: Casten Happe, Thomas Zandegiacomo Del Bel, Risna Olthuis
Wie sind die bisherigen Reaktionen auf den Umzug?
Die Reaktionen in Münster waren von Anfang an positiv. Die internationalen Filmemacherinnen und Filmemacher blicken ebenfalls gespannt dem Festival entgegen und sehen es als Chance, den Poesiefilm einem großem Publikum näherzubringen. Auf jeden Fall gab es großes mediales Interesse.
Welche Auswirkungen hat der Umzug auf die Poetryfilmszene in Berlin?
Das wird sich nach dem Festival zeigen. Dieses Jahr wurden noch sehr viele Poesiefilme aus Berlin eingereicht. Ein Viertel der Einsendungen kommen aus Deutschland und davon wiederum sehr viele aus Berlin. Das belegt deutlich, dass das ZEBRA in Berlin schon lange etabliert ist. Allerdings glaube ich nicht, dass sich das Interesse am Poesiefilm in Berlin verringern wird.
Welche Herausforderungen und Möglichkeiten bietet der Umzug für Dich persönlich?
Größte Herausforderung war die Planung des Festivals, da das Team den neuen Standort berücksichtigen musste. Zum einen ist Münster viel kleiner als Berlin, zum anderen haben wir eine größere Aufmerksamkeit. Das Festival befindet sich auf ganz neuem Terrain und muss sich seine »Fangemeinschaft« erst aufbauen. Aus diesem Grund haben wir viele beliebte Formate, wie Lesungen, Kolloquium oder das Kinder- und Jugendprogramm ZEBRINO übernommen. Der Umzug bietet für mich persönlich die Möglichkeit, das Genre Poesiefilm am neuen Standort Nordrhein-Westfalen zu etablieren und einen größeren Kreis von Künstlerinnen und Künstlern näher kennenzulernen. Die Kontakte erstrecken sich weit über die Grenzen der Stadt Münster, da die Städte in Nordrhein-Westfalen sehr gut miteinander vernetzt sind. Insofern erhalten wir ein sehr großes Netzwerk, das über die Grenzen von NRW und Deutschland hinausgeht.
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