Film des Monats April 2016 •
Booktrailer für Gedichtbände sind immer noch eine Seltenheit. Mit »Meet John Ashbery« (2014) von Lily Henderson stellen wir in diesem Monat ein prominentes Beispiel vor, anhand dessen sich die schmale Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz im Poesiefilm diskutieren lässt.
Es ist schon ein paar Jahre her und dennoch nicht vergessen, wie sich 2010 eine ganze Gruppe namhafter Dichter und Übersetzer, darunter Gerhard Falkner, Uljana Wolf und Jan Wagner, mit dem fulminanten Übersetzungsband Ein weltgewandtes Land (luxbooks-Verlag) vor dem Lebenswerk John Ashberys verneigte. Der 1927 geborene Pulitzer-Preisträger gehört zu den wichtigsten Stimmen der US-amerikanischen Gegenwartslyrik. Auch hierzulande finden seine Gedichte ihre Leser.
Ashberys Preise und Verdienste sind zahlreich, für sein vielseitiges Œuvre verlieh ihm die American Academy of Arts and Letters 1997 die ›Goldmedaille für Lyrik‹. Seit 2014 liegt es in den USA auch in einer 17bändigen E-Book-Edition vor. Zum Erscheinen der Ausgabe produzierte der Verlag Open Road Integrated Media unter der Regie von Williams Cole und Lily Henderson einen Booktrailer, der sich an der Grenze zum fernsehtauglichen Dichterporträt bewegt und gleichzeitig ästhetische Qualitäten aufweist, die die Nähe zum Poesiefilm verraten.
Ähnlich wie Spielfilmtrailer schneiden Buchtrailer für narrative Texte gewöhnlich die wichtigsten Szenen so zusammen, dass eine Spannung erzeugt wird, auf die nur das Lesen des ganzen Buchs die Lösung bringen kann. Diese gespannte Vorfreude auf die Lektüre muss beim Lyriktrailer zwangsläufig anders erzeugt werden: Hier stimmt der Kurzfilm vor allem in die Atmosphäre der Bücher ein und baut eine Brücke zur Person des Dichters. Wie versucht Meet John Ashbery uns zum Lesen und Kaufen zu motivieren?
Eine erste Strategie besteht in der Fokussierung auf die Augen des Dichters, auf den direkten Blick des jungen und des alten Ashbery. Dadurch baut sich von Anfang an die Distanz zwischen Betrachtetem und Betrachter ab, und beide rücken scheinbar trotz medialer Asymmetrie in ein wechselseitiges Beobachtungsverhältnis. Der Blick sagt: Der Dichter sieht dich genauso wie du ihn, und vielleicht sieht er dich sogar auf noch bewusstere Art und Weise, weil er der Dichter ist.
Darüber hinaus legt der Film einen Akzent auf die besondere Semantisierung des Raumes. Ein nostalgisches Licht, das mit dem Alter des Autors und mit seinem Milieu verwoben zu sein scheint, erzeugt atmosphärische Dichte. Die Bilder folgen dem Ton der Schreibmaschine, die gleich zu Beginn eingeblendet wird und auf der Tonebene das rhythmusgebende Element ist; flickernde Aufnahmen wechseln mit glänzenden in Schwarz-Weiß und Farbe, lupenhaft gezoomte Texte bewegen sich, ein nobles Interieur, das Summen von Fliegen, antikisierende Vasen. Die Abstimmung der Bilder auf den Klang der Worte will ganz bewusst eine illustrative Beziehung zum Gesagten einhalten. Wie eine rhetorische Körpergeste, welche die poetologischen Aussagen und die Gedichtrezitationen unterstreicht und verdeutlicht, passt sich der Trailer den Sätzen an, ohne ihnen zu widersprechen oder auch nur in die Quere zu kommen.
Die Tonspur erzeugt durch hohe andauernde Klänge Spannung. Sonore Klarheit schwebt über dem Ganzen, in die sich mysteriöse Außenweltklänge und rätselhafte Symbole mischen: die Musik, die Fliege, die Uhr, der Zug. I feel that my poetry is served like music, in the way it unspuls, you have to wait until you heard it to have heard it and to know what it is. Alles soll dabei zusammenstimmen, nichts isoliert erscheinen. Ein Zuggeräusch deutet die letzte Fahrt an, die noch bevorsteht. Light, Mistery, and Fool. Come see it.
Derartige Trailer sind durchaus reizvoll. Warum sind sie dennoch so selten? Sind es nur ökonomische Gründe seitens der Verlage? Oder ist die Frage entscheidend, ob man überhaupt mit Lyrik nach den Spielregeln der Kapitalismus Geld verdienen darf? Ist das öffentliche Zeigen eines besonderen kommerziellen Interesses ein Zeichen von Ehrlichkeit oder Verrat an der guten Sache, die Sand im Getriebe der kommerziellen Welt sein will und sich bestimmten Erscheinungsformen derselben deswegen verweigern muss? Um die Grenze zu bestimmen, die zwischen Kunst und Kommerz verläuft, kommt es offenbar darauf an, inwieweit es dem Kommerz gelingt, selbst wieder zur Kunst zu werden.
Das kommerzielle Interesse, das sich durch die Abfolge der Buchcover am Ende von Meet John Ashbery zu erkennen gibt, liegt völlig offen und wird vielleicht mehr als nötig betont. Dennoch überwiegt in dem Film ein Mehrwert gegenüber bloßem Marketing. Es ist das Ethos des Dichters, die Sympathie, die man ihm und seinen Texten entgegenbringt, welche den kommerziellen Aspekt in Meet John Ashbery in den Hintergrund rückt. Der gutmütige, eindringliche und wache Blick, die ruhige und warme Stimme suggerieren immer wieder, Form und Inhalt seien in Harmonie, die filmische Darstellung des Dichters entspräche der filmischen Schreibweise seiner Gedichte; Bild und Text, Person und Medium gingen gerade auch dort zusammen, wo die Stimmung ins Mysteriöse und Rätselhafte ziele.
Genau an diesem Punkt kommt Meet John Ashbery an seine Grenzen. Trailer müssen zwangsläufig ein möglichst großes Publikum erreichen. Vielleicht scheuen sie deswegen zu riskante ästhetische Verfahren. Man hat hier sehr kalkuliert am Bild, am Schnitt, am Ton und an der Inszenierung des Dichters gearbeitet, selbst das Abnehmen der Brille als Geste des wissenden Blicks wirkt einstudiert. Alles erscheint ein bisschen zu glatt, zu perfekt, als fehle das Rätselhafte des Poetischen gerade deswegen, weil wir uns mit seiner Simulation zufrieden geben sollen. Meet John Ashbery traut der Rhetorik offenbar mehr zu als der Poesie.
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