Liebe Leserin, lieber Leser,
hört man von Gedichtverfilmung, denkt man zuerst an Texte und Bilder. Die oftmals vernachlässigte Tonebene trägt jedoch ebenso sehr zur ästhetischen Erfahrung des Poesiefilms bei.
Vor allem der Rezitation kommt eine zentrale Bedeutung zu. Gleichviel, ob es sich um eine zuvor aufgezeichnete Originalaufnahme der Dichterin oder des Dichters handelt oder der Text extra für den Film eingesprochen wurde: Poesiefilme sind ein wichtiges Experimentierfeld der Vortragskunst. Die Aufmerksamkeit auf das einzelne Wort besitzt ein höheres Gewicht als im dialogbasierten Spielfilm. Die Stimme ist dabei kein neutrales Medium. Sie intensiviert und deutet das Gedicht. Vielleicht kommentiert, parodiert oder attackiert sie es sogar, statt sich nur in seinen Dienst zu stellen.
Die Performanz der Stimme muss sich dazu in den komplexen Rhythmus von bewegtem Bild, Schnitt, Ton und Musik einfügen. Das geschieht auf unterschiedliche Weise. Erzeugt das Verhältnis der Medien lediglich eine Redundanz zwischen Gehörtem und Gesehenem, wird dies oftmals als störend empfunden. Ergänzen beide Elemente sich gegenseitig und treten in Dialog miteinander, entsteht eine dritte Ebene, die dem Text einen Bedeutungsgewinn – einen audiovisuellen Mehrwert (Michel Chion) – verleihen kann.
Töne, Klänge oder Geräusche beeinflussen die emotionale Wirkung eines Films und steuern unsere Bildwahrnehmung. Was wir sehen, hängt von dem ab, was wir hören. Selbst was wir nicht sehen, kann durch den Sound Präsenz erhalten. Da Poesiefilme von ihrer Stimmung und Atmosphäre leben, sind sie auf gutes Sounddesign angewiesen. Es trägt entscheidend zu ihrem Gelingen bei.
Wie Stefanie Orphal in ihrem Beitrag zur ersten Ausgabe des Poetryfilm Magazins hervorgehoben hat, kann sich die Faszination des Poetryfilms besonders durch die Aufmerksamkeit auf die Tonebene erschließen. Wo immer möglich, sollte daher nicht nur ein charismatischer Rezitator, sondern auch ein erfahrener Sounddesigner in den Produktionsprozess eingebunden werden.
Dominiert die Musik und ordnet sich die Bildebene Beat und Takt unter, gerät der Poesiefilm in die Nähe zum Musikvideo. Musikvideos und auch Videoinstallationen können ebenso zum Poetryfilm zählen wie Songs und Lieder zur Lyrik. In der Bildsprache, in der Sangbarkeit und Komplexität der Texte gibt es zahlreiche Übergänge zwischen dem lied- und dem gedichtbasierten Film.
Call for Essays
Für unsere zweite Ausgabe des Poetryfilm Magazins suchen wir Beiträge, die an einem interdisziplinären Erfahrungsaustausch über Fragen der Vortragskunst, der Tontechnik, der Musik und des Sounddesigns im Poesiefilm interessiert sind. Dies können historische Exkursionen, Filmanalysen oder theoretische Betrachtungen sein – wichtig ist uns vor allem der konkrete, praktische Bezug, durch den sich den Filmemachern ebenso wie den Zuschauern die Augen und Ohren öffnen soll.
Die Beiträge der ersten Ausgabe waren bewusst kurz gehalten. Möglichst viele Autoren konnten so zu Wort kommen. Von nun an planen wir, etwas längere Texte zu veröffentlichen, die bis zu 10.000 Zeichen (möglichst ohne Fußnoten) umfassen dürfen. Natürlich wünschen wir uns sehr, dass auf diesen Call for Essays hin wieder unaufgefordert eingesandte Manuskripte eintreffen, damit der Diskussionsverlauf offen und überraschend bleibt. Das zweite Heft des Magazins erscheint im Oktober rechtzeitig zum ZEBRA-Festival. Das Filmfest der Dichtkunst findet in diesem Jahr erstmals in Münster statt.
Aline Helmcke, Guido Naschert
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