Film des Monats Januar 2018 •
Sarah Sloats Gedicht Dictionary Illustrations feiert die nostalgische Faszination alter Enzyklopädien und die kindliche Neugier, in ihnen zu blättern. Marie Craven wählte zur visuellen Begleitung des Textes Illustrationen aus der Brockhaus-Efron-Enzyklopädie (1890–1907), die zu minimalistischer Musik und im Rhythmus filmischer Kinestasis am Betrachter vorbeiziehen.
Was ist in diesem Film zu sehen? Der ›Brockhaus‹ steht bis heute für die Glanzzeit der großen Enzyklopädien und Konversationslexika des 19. Jahrhunderts. Um die Jahrhundertwende war die Bedeutung des Lexikon bereits so weit angewachsen, dass die Firma Brockhaus zunehmend international expandieren konnte. Als der jüdische Verleger Il’ja Abramovič Efron (1847–1917) aus Sankt Petersburg 1888 bei Eduard Brockhaus (1829–1914) in Leipzig anfragte, entstand mit dem »Brockhaus-Efron«-Projekt eine Zusammenarbeit, die bis heute zu den bedeutendsten gelehrten Kooperationen zwischen Deutschland und Russland zählt. Zwischen 1890 bis 1907 erschien eine Monumentalenzyklopädie, welche am Ende 86 Halbbände mit 121.240 Artikeln, 7.800 Illustrationen und 235 Karten umfasste. Bestand die Enzyklopädie im ersten Band noch weitgehend aus Übersetzungen deutscher Brockhaus-Artikel ins Russische, so wandelte sich ihr Charakter mehr und mehr zur Staatsenzyklopädie, zur russischen ›Encyclopaedia Britannica‹, in der sich die Gelehrten Russlands selbst ein nationales Denkmal setzten (vgl. Erhard Hexelschneider: Der »Brockhaus erobert den russischen Markt. Zur Entstehungsgeschichte des »Brockhaus-Efron«. In: Thomas Kleiderling (hg.): F. A. Brockhaus, 1905–2005. Leipzig [u. a.] 2005, S. 207–218).
Heute ist dieses Monumentalwerk im Internet rechtefrei verfügbar. Die im australischen Queensland lebende Videokünstlerin Marie Craven hat sich der kostbaren Illustrationen der Enzyklopädie bedient, um ein Gedicht der US-amerikanischen Autorin Sarah Sloat zu animieren.
Seit 2014 erschuf Marie Craven über 40 Videopoeme, für die sie mit unterschiedlichen Künstlern aus aller Welt zusammenarbeitete. Mit dem Filmemachen begann sie bereits Mitte der 1980er-Jahre. Damals war sie an der Gründung der Melbourne Super 8 Film Group und der MIMA (heute Experimenta Media Arts) beteiligt. Später, in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren, schrieb und inszenierte sie kurze Erzähl- und Experimentalfilme, die auf internationalen Filmfestivals Preise gewannen.
Craven ist eine vielseitige Künstlerin, die immer wieder in verschiedene Genres eintaucht und dabei auf unterschiedliche Techniken und Stile zurückgreift. Krankheitsbedingt musste sie von der Stadt aufs Land ziehen. In einem Interview bemerkte sie dazu: »Dies hat meine Arbeit auf zwei Arten beeinflusst: Ich war vom Licht und der Landschaft, in der ich mich körperlich befand, inspiriert und gleichzeitig musste ich einen Weg finden, mit kreativen Menschen in Kontakt zu treten, um gesund zu bleiben.« Die vielen übers Internet erarbeiteten Kooperationen sind eine Folge davon.
Dictionary Illustrations realisierte sie zusammen mit der in den 1960er-Jahren in New Jersey (USA) geborenen Autorin Sarah Sloat. Sloat lebt heute in Deutschland. Früher arbeitete sie als Anwältin, Hundesitterin, Englischlehrerin, Aushilfssekretärin, Blindenleserin, Professorin und Reporterin.
Zur Verfilmung ihres Gedichts bediente sich Marie Craven einer experimentellen Technik, die im Fachjargon als ›Kinestasis‹ bezeichnet wird. Bei dieser von den griechischen Worten ›kine‹ für Bewegung und ›stasis‹ für Stillstand abgeleitete Technik werden Standbildern verwendet, um den Eindruck von Bewegung zu erzeugen. Dabei kann es sich ebenso um Fotografien wie Gemälde, Collagen oder eben Wörterbuchillustrationen handeln. In ihrem Film korrespondiert der der schnelle Vor-und-Zurück-Rhythmus den Loops der minimalistischen Musik.
Der Film wurde daher mehrfach nominiert und auch ausgezeichnet. So gewann Dictionary Illustrations etwa den internationalen Poesiefilmwettbewerb O’Bheal in Irland. Die Jury kam dort zu dem Ergebnis: »Dictionary Illustrations was a perfect film poem because, remembering it, we can’t distinguish which parts were the words, which the images, which the sounds: each element harmonised perfectly with the others to create one discrete artwork. This effect is so rare, and so rewarding.«
Wenngleich der Film auf der Kinoleinwand vielleicht nicht ebenso überzeugt wie auf dem PC-Bildschirm oder Smartphone, ist doch die Auswahl des kindlichen Voice-overs und der Musik zu den Brockhaus-Efron-Illustrationen markant. Dictionary Illustrations ist ein Film, den man, einmal gesehen, nur schwer wieder vergisst.
Dictionary Illustrations by Sarah Sloat Searching for a word I set off browsing the dictionary illustrations, pages flush with fishand obscure instruments and myriad breeds of duck, which, colorless, end up looking much the same.These artists donít dawdle amongst the obvious; they illuminate the oriel window; they tracethe lobate foot of the grebe. The reindeer appears tame and boxy on paper, gigantic antlers bearingthe weight of reincarnation.On page 1291, drawings disambiguate the difference between palyand paly-bendy, two patterns of heraldry: think roadblock versus barbershop, TV so for zip hereís an inch-wide depiction to the other. Tiptoe through, and pay |
Informationen zum Film |
DICTIONARY ILLUSTRATIONS Australien 2016 • Animation • 2:13 min Animation: Marie Craven Text: Sarah Sloat Musik: Podington Bear Preise: Gewinner, Ó Bhéal International Poetry Film Competition at IndieCork Festival, Ireland, 2016. |