Film des Monats März 2018 •
An einem ganz gewöhnlichen Montagmorgen macht sich ein Mädchen für die Schule bereit. In ihrer Stadt gehören Gewalt und Tod zum festen Bestandteil des täglichen Lebens. Allein an diesem Morgen wird ein Mann auf der Straße erschossen, und die Mitschülerin hat eine Fehlgeburt. Naomi van Niekerks preisgekrönte Sandanimation basiert auf einem Gedicht der südafrikanischen Lyrikerin Ronelda S. Kamfer.
In den letzten Jahren bekam die Poetryfilmszene eine ganze Reihe eindrucksvoller Animationen aus Südafrika zu sehen. ›Filmverse‹ heißt das Projekt, in dem die Filme entstanden. Gefördert wird es von der ATKV, der Afrikaans Language and Culture Association, die das Poetryfilmgenre benutzt, um ihr kulturelles Erbe zu pflegen (s. Poetryfilm Magazin, Ausgabe 02). Meist handelte es sich bei den verfilmten Autoren um ältere und bereits verstorbene Dichter. In An Ordinary Blue Monday ist dies anders.
Ronelda S. Kamfer wurde 1981 in Blackheath am Kap geboren. Als Kleinkind wuchs sie bei ihren Großeltern auf, die auf einer Obstplantage in Grabouw arbeiteten. Mit zehn Jahren kehrte sie zu ihren Eltern nach Blackheath zurück und zog später nach Eersterivier in die Region um Kapstadt. Man hat über ihre Lyrik geschrieben, dass sie nicht im engeren Sinne politische Dichtung sei, sondern dass die politische Realität auf intensive Weise aus einer privaten, persönlichen Perspektive gezeigt würde. Was dies konkret bedeutet, wird am Beispiel von An Ordinary Blue Monday verständlich.
Aus der Perspektive einer Schülerin erleben wir die Alltäglichkeit von Gewalt und Not. Naomi van Niekerk hat in ihrer Sandanimation dafür sehr bewegende Bilder gefunden. An einer Stelle kommen der Schülerin Zeilen aus Dylan Thomas’ Gedicht Do not go gentle into that good night (1951) wie ein existenzieller Schrei in den Sinn. Der walisische Dichter verarbeitete in diesem Gedicht das bevorstehende Sterben seines Vaters: »Geh nicht gelassen in die gute Nacht/ Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht« (Dylan Thomas: Windabgeworfenes Licht. Gedichte. Frankfurt a. M. 1995, S. 367) Im Film sieht man, wie der Schattenriss einer Figur zu diesen Versen vergeblich versucht, eine Tür aufzudrücken, schließlich aber von dieser wieder zurückgedrängt wird.
Niekerk verbindet als Künstlerin das Theater, bildende Kunst und das Puppenspiel. In Live-Performances arbeitet sie häufig mit Musikern und Tänzern zusammen. Auch ihre Poesiefilme überzeugen durch eine besondere synästhetische Kraft, die sie verbreiten. Mit An Ordinary Blue Monday gewann sie den Jean-Luc Xiberras-Preis für den besten Erstlingsfilm auf dem Annecy International Film Festival 2016.
Zu den Stärken von Gedicht und Film gehört es, dass die alltägliche Gewalt in einer fundamentaleren, geradezu kosmischen Bedeutung verstanden wird. Im Film sehen wir anfangs, wie der Wind ein Hemd von der Wäscheleine weht. Später schwebt es über die Dächer der Nachbarschaft und landet wie der Schatten einer Leiche auf dem Gehweg, ehe es in den Sternenhimmel entschwindet.
Dann kommt eine Frau die Straße heruntergelaufen und ruft nach Gott: Wo war Josef, als Jesus gekreuzigt wurde? Die Frage ist nicht neu. Josef von Nazareth ist eine Randfigur des Neuen Testaments, von der kein gesprochenes Wort überliefert ist. In den Evangelien ›verschwindet‹ er einfach stillschweigend, weswegen sich zahlreiche Legenden und Mutmaßungen um sein Alter und seinen Tod ranken. Doch hier, in Kamfers Gedicht geht es nicht um den historischen Josef von Nazareth. Die Anklage gilt den Männern, Vätern, die das Leid verursachen, aber fehlen, wenn die Zeit der Trauer kommt. An ordinary blue Monday ist ein poetischer, vor allem aber ein wütender Film. Ein Film, der die eigene Wut über die alltägliche Gewalt und Not über das sichtbare Geschehen hinauslenkt.
An Ordinary Blue Monday Morning
by Ronelda Kamfer it was an ordinary blue Monday morning Translation: © Karen Press 2015 |
Informationen zum Film |
An Ordinary Blue Monday Südafrika 2014 • Animation • 3:31 min Animation: Naomi van Niekerk Text: Ronelda Kamfer Preise: Gewinner des »Jean-Luc Xiberras Award for Best First Film« beim ANNECY Filmfestival 2016. |
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