Film des Monats Oktober 2015 •
Wie langweilig das Erwachsenenleben sein kann! In »The Man with the Beautiful Eyes« (1999) von Jonathan Hodgson spricht eine ermüdete Stimme von den Abenteuern der Kindheit, in denen die Welt noch perfekt schien. Der Film basiert auf einem Gedicht von Charles Bukowski.
Von dem Bild, das auf der Leinwand läuft, fühle ich mich angezogen. Ich kann es nicht lassen, es zu betrachten, der Kraft der Linien zu folgen, der Vibration der Farben, den einfachen Formen, die sich fließend und frei verwandeln, um zu neuen Einstellungen und Bildern zu führen. Gleichzeitig, das Bild vorwegnehmend oder ergänzend, verführt mich eine Stimme. Sie klingt etwas ermüdet, aber ich lasse gerne zu, dass sie mir die Kindheitsgeschichte erzählt, die Bukowski 1992 als narratives Gedicht und sicherlich autobiografisch aufgeschrieben hat.*
An The Man with the Beautiful Eyes fällt auf, dass die Geschichte aus einer Kinderperspektive erzählt wird; aus der Sicht einer Gruppe von Kindern, die voller Neugier, Ängsten und Fantasien sind. Die organischen Linien, die bebenden Texturen, die farbigen Formen und der freie Strich der Animation können als Übersetzung dieser Perspektive verstanden werden. Auch die starke Tendenz, die Einstellungen in hohem oder niedrigem Winkel zu zeigen, sind ein Mittel, mit dem wir uns daran erinnern können, wie die Welt aus kindlicher Sicht aussah, als man noch kaum einen Meter groß war, oder im Gegenteil: wie wenn man seinen Kopf nach unten neigt, um auf die Kleineren herunterzuschauen, so wie die Eltern die Kinder beobachten.
The Man with the Beautiful Eyes besitzt eine Struktur, in der Bild und Text die Geschichte gleichsam Hand in Hand erzählen. Die typografischen Spielereien sind hingegen visuelle Strategien, welche die bildliche Narration ergänzen und bereichern, indem sie zusätzlich einige wichtige Elemente hervorheben: den Goldfisch, den Glanz der Augen, den Verlauf der Zeit sowie punktuelle verbale Ausdrücke der Erwachsenen. Das Bild erweitert den Text von Bukowski, reichert ihn um neue Informationen an. So wird die ganze Zeit von den schönen Augen eines Mannes gesprochen, aber in Wirklichkeit bekommen wir diese Augen nicht zu Gesicht! Wir sehen nur ihren ungeheuren Glanz, der die Kinder erhellt und verzaubert. Blazed. Es ist die Faszination eines Blicks, den sie (glücklicherweise?) noch nicht begreifen können.
»Our parents were ashamed that they were not like that man …« Die Väter werden als das Gegenteil dieser Schönheit gezeigt, zunächst durch den Text und verstärkend noch durch das Bild: die Handlung des Rasierens, des übergründlichen Putzens bis zur Erschöpfung, das Unkrautjäten, »LOVE & HATE« auf den Fäusten. Alles, was die kindliche Neugier erwecken kann, alles, was zu schön ist, passt nicht in die erwachsene Welt und muss ausgelöscht werden: »and we were afraid then that all throughout our lives things like that would happen, that nobody wanted anybody to be strong and beautiful like that, that others would never allow it, and that many people would have to die.«
Die Werteordnung und Schönheitsnorm dieser Welt haben einen eigenen Maßstab, der sehr weit von der Ordnung, der Kontrolle und der Reinheit entfernt ist, die das Leben der Väter neurotisieren: ein Wald aus wildwucherndem Bambus, ein Teich großer, farbiger und sanftmütiger Fische, ein Mann mit schönen Augen und einer natürlichen Kraft und Ausstrahlung. Alles dies bedeutet Glück und Freiheit.
Am Ende der Animation führt uns ein Zoom-out wieder aus der Geschichte heraus und verortet sie in Kalifornien, wo Bukowski den größten Teil seines Lebens verbracht hat. In einem Schaufenster erscheint eine Schreibmaschine, wie sie der Autor benutzt haben könnte, umgeben von musikalischen Instrumenten. Das Geschäft heißt Chinaski’s, wie das Alter Ego des Dichters in einigen seiner Werke (etwa im Film Barfly von Barbet Schröder, für den Bukowski das Drehbuch geschrieben hat). Damit setzt der Regisseur gewissermaßen die Unterschrift des Autors ins Bild und hebt das Autobiografische des Films hervor. Diese Reise zu den Wahrnehmungen der Kindheit endet also mit den grauen Bildern der Schreibmaschine in einem Schaufenster in irgendeiner Straße, bevölkert von alltäglichen Fußgängern. Im Hintergrund jedoch rufen die Kinder weiter und hören nicht damit auf.
Ich fühle mich von dem Bild, das auf der Leinwand läuft, angezogen und ich frage mich: Ist dies eine Geschichte über das Ende der Kindheit und der Unschuld? Jonathan Hodgson, der Regisseur des Films, scheint dies nahezulegen. Gleich die erste Einstellung der Animation konzentriert sich auf das Plakat eines verlorenen Kindes (»Have you seen this child«). Sie dauert fünfzehn Sekunden und kehrt später noch mehrmals wieder. Das Hemd des Jungen auf dem Plakat gleicht dem Hemd eines der Protagonisten. Es gibt sogar einen Moment, wo beide nebeneinander auftauchen. Ihre Beziehung ist evident.
The Man with the Beautiful Eyes spricht mit müder Stimme über die Nostalgie, mit der wir auf die ersten Lebensjahre zurückblicken, wo die Welt noch perfekt schien. Am Schluss jedoch wird der Film wieder zum Text, zum Gedicht auf dem Papier in der Schreibmaschine im Schaufenster. Und draußen, vor diesem Schaufenster? Naja, dort bleibt nur die Enttäuschung des erwachsenen Lebens. Ein in die Gosse geworfener Mann, der auch Bukowski selbst sein könnte, an dem die Menschen achtlos vorbeilaufen.
Aus dem Spanischen übersetzt von C. Giraldo Vélez / G. Naschert
* Bukowskis Gedicht.
Informationen zum Film |
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Über die Autorin |
Catalina Giraldo Vélez, Designerin und Filmemacherin, stammt aus Manizales/Kolumbien. Nach ihrem Studium arbeitete sie bis 2011 in den Bereichen Design, Fotografie und Kulturmanagement in Bogotá. 2011 kam sie nach Deutschland, um sich an der Bauhaus-Universität in Weimar in den Bereichen Medienkunst und Animation zu spezialisieren. 2014 gründete sie mit Gato & Mono Design ihr eigenes Studio für Bild und Text. Sie lebt in Weimar. |