Film des Monats Dezember 2016 •
In Bulgarien entstanden in letzter Zeit im Rahmen des Projekts »Mark & Verse« spannende Poesiefilme. Der Kurzfilm »A Petty Morning Crime« (Kleines morgendliches Verbrechen) von Asparuh Petrov ist einer davon. Er basiert auf einem Gedicht von Georgi Gospodinov.
Der bulgarische Schriftsteller und Lyriker Georgi Gospodinov (Jg. 1968) zählt seit seinem literarischen Debüt Natürlicher Roman aus dem Jahr 1999 zu den international bekannten Autoren seines Landes. Zuletzt erschien 2014 sein ebenfalls vielgelobter Roman Physik der Schwermut. Auf Einladung der Literaturwerkstatt kam er 2007 nach Berlin. Seither findet auch seine Lyrik bei uns Beachtung. Eine Auswahl davon liegt in einem von Uwe Kolbe, Valerie Jäger und Alexander Sitzmann 2010 im Grazer Droschl-Verlag herausgegebenen Band in Übersetzung vor.
Der Film A Petty Morning Crime zum gleichnamigen Gedicht entstand im Rahmen von »Mark & Verse«, einem bulgarischen Filmprojekt, das eine Brücke zwischen Lyrik und Animation schlägt. Vessela Dantcheva, die bereits zusammen mit Ebele Okoye das Schwitters-Gedicht Anna Blume animierte,* gab im letzten Jahr den Anstoß dazu. Sechs Gedichte zeitgenössischer Lyriker wurden im Rahmen von »Mark & Verse« von sechs Animations-Regisseuren verfilmt. Die Ergebnisse sind von hoher Qualität. Allein beim letzten ZEBRA Poetry Film Festival in Münster liefen gleich drei der Filme im Wettbewerb, darunter A Petty Morning Crime.
Der aus Pleven stammende Animator Asparuh Petrov (Jg. 1981) studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Trojan und arbeitet seit 2007 als Grafikdesigner vor allem für Fernsehproduktionen in Sofia (bTV, MSAT, TV7). Seine Adaption ist stilistisch bewusst einfach in Braun-Schwarz und Weiß gehalten. Figuren und Bildelemente sind als klare, grafische Formen erkennbar. Sie bleiben jedoch schemenhaft: Die Gesichter der Figuren wirken stilisiert, fast entpersonalisiert. Haptische Qualität bekommt die Bildoberfläche vor allem durch den lebendigen schwarzen Tintenton.
Eine Besonderheit des Films ist sein mehr als einminütiger Vorspann, der uns als eigene filmische Erfindung in das Gedicht einstimmt. Am Anfang vernehmen wir das Geräusch des Regens, das bereits auf die erste Gedichtzeile vorausweist. Auf den schwarzen Bildgrund tropft eine weiße Flüssigkeit, die onomatopoetische Worte bildet, welche sich später zum Titel verwandeln werden. Dann aber beginnt mit einem plastikartigen Knautschgeräusch eine Art Vorgeschichte zum Gedicht, die die ›Verschlafenheit‹ und ›Schuld‹ des Protagonisten erklären hilft. Von den Kanten her läuft in der Mitte des Bildes ein schwarzer Klumpen zusammen, der sich nun, beständig die Form verändernd, im Zentrum bewegt, um sich schließlich in ein in sich verschlungenes Liebespaar zu verwandeln. Zuletzt löst sich das Paar wieder voneinander, wobei der Impuls von der Frau ausgeht, die den Mann von sich wegstößt.
Während diese Einleitung ein vom Gedicht weitgehend unabhängiges Element darstellt, wird im Folgenden sehr eng an der Vorlage entlang illustriert, wenn wir dem männlichen Protagonisten, der sinnierend draußen allein im Regen unterwegs ist, auf seinem Gang zur Toilette folgen. Sein schuldhafter Tritt auf eine Schnecke wird in der englischen Übersetzung des Gedichts onomatopoetisch mit »hrush« (im Deutschen mit »krscht«) wiedergegeben. Dieses im Gedicht nur vereinzelt vorkommende onomatopoetische Element hat der Filmemacher genutzt, um es gestalterisch auszuweiten. Am Ende, im Innern der Toilette, löst sich der Film erneut von seiner Vorlage. Die Visualisierung des Urinierens findet keine Entsprechung im Gedicht, erinnert jedoch in seiner Direktheit durchaus an Texte Gospodinovs wie z. B. an seinen Haiku für Männer: »Mann am Wegesrand/ befeuchtet herbstliches Laub/ ein Wölkchen aus Dampf«. Im Versuch, den banalsten Vorgängen noch etwas Poetisches abzugewinnen, kommen Filmkünstler und Dichter überein.
Gesprochen wird der Text von der warmen, tiefen, unaufgeregten Stimme Pavel Terziyskis, die einen eigentümlichen Kontrast zur scheinbaren Dramatik des ›kleinen‹ Verbrechens bildet. Nikolay Mihalov hat sie mit Mundharmonika-Musik begleitet. A Petty Morning Crime arbeitet mit einem ausgeklügelten Sounddesign, das zahlreiche realistische Klänge teils zur akustischen Illustrierung, teils zur Spannungssteigerung nutzt. (Nebenbei sei angemerkt: Es lohnt sich, dem Film einmal mit geschlossenen Augen zu folgen und wie im Radio nur auf den Ton zu achten. Auch das ist schon ein eigenes, die Phantasie anregendes Hörerlebnis!)
Das Gedicht vernehmen wir in bulgarischer Sprache. Die englische Übersetzung ist nicht in Form von Untertiteln zu lesen. Sie erscheint vielmehr als integraler Bestandteil der Szenen und Szenerien im Bildraum, ist also als Schrift in die Bildwelt selbst eingebaut: Der Text taucht aus dem Wasser in der Pfütze auf, steht auf der fatalen Pille geschrieben, die immer wieder ins Bild kommt und den Protagonisten in übergroßer Dimension fast erdrückt. Auch in der Silhouette der Stadt erscheint sie nach und nach, mit den Geräuschen einer Leuchtreklame unterlegt. Auf diese Weise entsteht trotz der surrealen Szenerie eine stimmige Verbindung zwischen dem gesprochenen Wort und seiner Bedeutung, den Klängen und der Schrift im Bild.
Im Gedicht ist es gleichgültig, ob das angesprochene Du, das kein Mann sein muss, die Toilette erreicht oder nicht. Entscheidend ist die alltägliche Schuld, die sich der Einzelne durch seine Fahrlässigkeit auflädt und die trotz ihrer scheinbaren Geringfügigkeit und Folgenlosigkeit nicht vergessen werden kann. Der Film hat hier durch Vorspann und Wahl des Protagonisten eine zusätzliche Erzählebene entworfen und möchte offenbar eine Geschichte erzählen, die das Schuldthema in eine bestimmte Richtung lenkt.
A Petty Morning Crime überzeugt auf allen Ebenen: Von der Stimme, dem Sounddesign, der Integration der Schrift ins Bild bis hin zur Art und Weise, wie das Gedicht visuell adaptiert wird. Die Adaption behält eine gewisse Werktreue bei, ohne in die Illustrationsfalle zu tappen. Die abstrakten Figuren, die räumlichen Elemente und die starken Klänge und Sounds lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters von den direkten Entsprechungen von Wort und Bild immer wieder ab und öffnen seinen Blick für die besondere filmische Bildsprache, die ebenso sehr wie der Text auch den alltäglichen und banalen Seiten des Lebens Poesie verleiht.
*Siehe den Film des Monats September 2015.
Draußen hat es geregnet Mord aus Fahrlässigkeit Übersetzt von Uwe Kolbe |
Georgi Gospodinov A Petty Morning Crime It has rained outside a murder in the second degree Translated by Maria Vassileva |
INFORMATIONEN ZUM FILM
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