Film des Monats Januar 2017 •
Unter den politischen Poetryfilmen der letzten Jahre ist einer besonders aktuell geblieben: »1700% Mistaken for Muslim« (2010) liefert ein Beispiel für einen engagierten Poesiefilm, der die Islamophobie in Teilen der US-amerikanischen Gesellschaft thematisiert.
Der Poetryfilm Mistaken for Muslim ist Teil des in Chicago ansässigen 1700%-Projekts, das durch verschiedene Kunstformen gesellschaftliche Stereotype aufzubrechen versucht. Die Zahl 1700% bezieht sich auf das sprunghafte Anwachsen antiislamischer Gewalt nach dem 9. September 2001. Viele Übergriffe und Diskriminierungen trafen irrtümlich auch Nichtmuslime. Im Film wird zu Beginn mit dem 19. Februar 1942 ein historisches Datum erwähnt, das beispielhaft für derartige Irrtümer steht. Damals autorisierte eine Executive Order des US-amerikanischen Präsidenten das Militär, 112.000 Japaner in Gefangenenlagern zu internieren. Viele von ihnen waren jedoch gar keine Kriegsfeinde, sondern US-amerikanische Bürger der zweiten oder dritten Generation.
Die Regisseurin Anida Yoeu Ali, eine Perfomance-Künstlerin und muslimische Khmer aus Kambotscha, die in den USA aufgewachsen ist, hat ihre Arbeit einmal folgendermaßen beschrieben: »My work reflects a hybrid cultural experience as a refugee from Cambodia trying to understand what home means, as a loud feminist woman of color learning to love and be loved, as an American citizen with Asian features too often accused of ›being a foreigner,‹ as a Muslim woman in America on a spiritual quest, as a citizen critical of our government, as a survivor of war, and as an individual striving to find the artistic, spiritual, and political junctures of these identities.«
Auch die anderen am Film Beteiligten haben einen komplexen kulturellen Hintergrund. Der Filmemacher Masahiro Sugano (Jg. 1972) wurde in Osaka (Japan) geboren. Später studierte er Film an der University of Illinois in Chicago. Und der Tänzer Prumsodun Ok ist wie die Regisseurin ein Khmer, der als weißer Engel einen kambotschanischen Tanz aufführt. Bei den im Film auftauchenden Personen handelt es sich um US-amerikanische Muslime aus Chicago.
Der Kontrast zwischen dem schmerzhaften Tanz, der die verzweifelte Gefühlslage des Films im Körper und in der Mimik des Tänzers konzentriert, und den freundlich lächelnden Muslimen wird durch die Inszenierung der Dichterin verstärkt. Sie spricht in der Rolle einer aus dem Grab herausgezerrten Gefangenen, die in orangefarbener Guantanamo-Kleidung durch die Stadt getragen wird.
Ihr aggressiv vorgetragener Text formuliert keine eigene Botschaft, sondern listet Gewaltakte und Diskriminierungen gegen Muslime in den USA auf. Es handelt sich um eine Collage aus Nachrichtenmeldungen über Delikte, die von Ignoranz, Gleichgültigkeit und der Unfähigkeit der Menschen zeugen, die muslimische Kultur und Identität zu erkennen. Mistaken for Muslim vermeidet über weite Strecken eine didaktische Mitteilung. Der Film will aufrütteln, sichtbar machen, nachdenklich stimmen, eine Erfahrung erzeugen, welche die Angst verständlich werden lässt, mit der viele Muslime nach 9/11 leben müssen. Erst am Ende spitzt er seine Botschaft in den Sätzen »LOOK! what you people have done!« und »Because we refuse to end in violence« zu.
Diese Zuspitzung macht Mistaken for Muslim in einer Weise schul- und seminarraumtauglich, wie es künstlerisch nicht nötig gewesen wäre. Wie die annähernd 27.000 Aufrufe auf YouTube zeigen, ist es dem Film allerdings gelungen, damit durchzudringen. Auch auf der visuellen Ebene ist die Symbolsprache einfach gehalten: Dem winterlich erstarrten Baum am Anfang – ein Symbol des Todes und der sozialen Kälte – korrespondiert der frühlingshaft ergrünte Baum am Schluss, der Hoffnung andeuten soll.
Diese Hoffnung auf positive Veränderung hat sich nicht erfüllt. Politische Filme scheitern aber nicht deswegen, weil sich die Verhältnisse anders entwickeln, als sie es wollen. Eher verblassen sie, weil sich die ästhetischen Provokationen mit der Zeit abnutzen.
Awoke to signs, »TERRORISTS« Back up. Quelle: 1700% Project. |
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